gamescom 2015 – The Importance of Being Earnest

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In Köln ist am Sonntag die gamescom 2015 zu Ende gegangen und vermeldet einen neuen Besucherrekord. Um die 345.000 Menschen hatten in der Zeit vom 5. bis 9. August das Messegelände der Stadt Köln besucht, um sich über die neuesten Trends und Entwicklungen in der Welt der digitalen Spiele zu informieren.

gamescom 2015 business area Süddeutschland
Games-Publisher und -Entwickler aus dem deutschen Südwesten präsentieren sich in der Business Area der gamescom © A.Härtlein

Alleine 33.200 Fachbesucher und damit 5 Prozent mehr als im Vorjahr, hatten zudem die Gelegenheit genutzt, sich in der Business Area der gamescom vorzustellen und Kontakte zu knüpfen. Unternehmen aus 45 Ländern weltweit waren hier vertreten. Ein Zuwachs, der zeigt, dass die Gameswelt sich im internationalen Umfeld zu einer ernst zu nehmenden Industrie mausert. Gerald Böse, Vorsitzender der Geschäftsführung der Koelnmesse zeigte sich zufrieden: Man habe Fachbesuchern einen internationalen Branchenplatz und Spielefans aus aller Welt erneut ein einzigartiges Event bieten können.

Während die Fans vor allem die neuesten Titel begutachteten, wurde im Hintergrund in der für Fachbesucher und Medienvertreter zugängliche Business Area Lobbyarbeit geleistet und es wurden Geschäfte gemacht.

Hier werden Geschäfte gemacht: die Business Area der gamescom

gamescom 2015 business area Iran
Iran präsentiert sich auf der gamescom © A.Härtlein

In der Tat war vor allem die Präsentation der Länderpavillons beeindruckend. Iran und Türkei präsentierten sich neben Kanada, China, Frankreich, Italien und Spanien und anderen, während Deutschland als Gastgeber ganz privilegiert auch einzelne Regionen und Bundesländern vorstellte. Ein Gang durch die Businesshallen ließ keinen Zweifel aufkommen: Die Videospiel-Industrie hat sich zu einem globalen Player entwickelt, der mit aller Macht nach oben strebt. Nicht überall kämpft die Branche dabei so stark um das öffentliche Ansehen, wie in Deutschland, wo es besonders in den nationalen Medien oft noch an Anerkennung mangelt. Anders als der Film- und Fernsehindustrie haftet den Games hierzulande oft immer noch der Touch des „Nerdigen“, im schlimmsten Fall gar des „Gefährlichen“ an.

gamescom 2015 business area UKIE Ian Livingstone
Dungeons-and-Dragons-Schöpfer Ian Livingstone, heute Vizepräsident von UKIE © A.Härtlein

Andres in UK, dem diesjährigen Gast- und Partnerland der gamescom. Auf der offiziellen Pressekonferenz der Briten im The Royal Box Presentation Room wurde schnell deutlich, dass man auf der Insel das Wirtschaftspotenzial der Branche schon lange erkannt hat. Und sich nicht scheut, dies mit angemessen großen Worten und hohen Erwartungen zu vertreten. So stellte die junge CEO der UKIE (Association for United Kingdom Interactive Entertainment), Jo Twist, ganz besonders die positiven Auswirkungen der Branche auf den heimischen Arbeitsmarkt heraus und wies auf das riesige Potenzial internationaler Märkte hin. Besonders China wird als Global Player wahrgenommen, aber auch als attraktiver Absatzmarkt, den es mit Verve zu erschließen gilt. Dieses Anliegen eint die Games mit Filmen, TV-Unterhaltung und Musik und so liegt es nahe, zum selben Schluss zu kommen, wie Jo Twist: Games sind, wie Musik, Film und Fernsehen, ein maßgeblicher Teil der Unterhaltungsindustrie des 21. Jahrhunderts. Und sie bergen ein massives wirtschaftliches Potenzial, das, so die junge CEO, die Umsätze der klassischen Unterhaltungsmedien bald in den Schatten stellen könnte.

Creativity is GREAT – Großritannien zeigt ich selbstbewusst

gamescom 2015 business area UKIE Ian Livingstone
Ian Livingstone zeigt am Beispiel seiner Schöpfung Lara Croft den Markenwert von Games-Charakteren auf. © A.Härtlein

Auch der Vizepräsident von UKIE, Fantasy- und Games-Legende Ian Livingstone, stieß ins selbe Horn. Der seit 1975 in der britischen Gameslandschaft etablierte Erfinder des Kult-Rollenspiels Dungeons and Dragons ist ein alter Hase im Games-Geschäft und zeichnet unter anderem verantwortlich für die Entwicklung von Charakter-Ikonen wie Lara Croft. Er begrüßte ausdrücklich die Entwicklung Großbritanniens in den letzten Jahren und die gesellschaftliche und politische Akzeptanz der Branche in seinem Heimatland. Nicht viele Politiker verstünden die unglaubliche Größe und das Potenzial der Games-Industrie oder die Bedeutung der Entwicklung in den Bereichen E-Sport oder von Plattformen wie Twitch und Steam, so Livingstone. Er lobte ausdrücklich die starke Unterstützung der heimischen Regierung, die der britischen Games-Industrie mit aktuell eingeführten Steuererleichterungen beispringt und damit das Wachstum weiter fördern will. Während Umfragen in UK den heimischen Markt bereits vor zwei Jahren für 2016 auf einen potenziellen Gesamtwert vom $83 Milliarden schätzten, geht man heute noch weiter: Großbritanniens Games-Industrie könne für das Jahr 2017 mit einem Gesamtwert von 100 Milliarden rechnen, so Livingstone. Schon jetzt generiert UK pro Jahr alleine aus globalen Verkäufen 2 Mrd. Pfund im Jahr.

gamescom 2015 business area UKIE CEO Jo Twist
Jo Twist, CEO von UKIE © A.Härtlein

Auch gesellschaftlich tut sich viel in Großbritannien. Beispielhafte Entwicklungen zeichnen sich ab, die auch Deutschland zum Vorbild werden könnten. So führte man das Fach „Computing“ ins nationale Curriculum ein, mit dem Ziel, die technische Erziehung der Schülerinnen und Schüler bereits im Lehrplan der Unterstufe zu etablieren und zu fördern. Dabei sei es wichtig, so Livingstone, dass die Kinder nicht alleine zu Konsumenten erzogen würden, sondern den Umgang mit der Technik so lernten, dass sie selbst in der Lage seine, ihre Kreativität auszuleben und eigenständig Dinge zu erschaffen. Ein Schritt, bei dem uns die Briten mehr als eine Nasenlänge voraus sein dürften. Betrachtet man die Situation an deutschen Schulen, stellt man immer wieder fest, dass die besten Initiativen immer noch vorrangig von außerschulischen Organisationen oder Eltern angestoßen werden, und sich oft auf den reinen Umgang mit Online- und sozialen Medien oder deren Gefahrenpotenzial beschränken.

Auch die große Anzahl kreativer Frauen in der Gameslandschaft der Nation pries Livingstone, der den Stellenwert der Brit-Games im europäischen Vergleich hervorhob: In seiner Position als fünftgrößter Games-Markt in Europa gilt UK als eine führende Nation im Bereich der digitalen Spiele-Entwicklung. Unzählige innovative Titel und tausende Arbeitsplätze habe diese Entwicklung hervorgebracht. Tatsächlich kann die britische Games-Industrie zwischen 2011 und 2013 auf eine Zunahme von Unternehmen um 22 Prozent zurückblicken. Viele Neugründungen sind dabei der rasanten Entwicklung auf dem Smartphone-Markt und dem Vormarsch von iOS zuzuschreiben. Trends wie Mobile Gaming und Virtual Reality haben ein riesiges Wachstum angestoßen. Dabei sieht Ian Livingstone die Mobile Games zwar als eine maßgebliche Bereicherung der Branche, jedoch keinesfalls als Ersatz für die traditionellen Konsolenspiele, deren großartige Entwicklung vom 32-Bit-Spiel bis zur heutigen innovativen Grafik er ausdrücklich würdigte.

Games-Figuren werden zu Marken – und erobern die ganze Welt

gamescom 2015 business area trends virtual reality
Virtual Reality ist auf dem Vormarsch. Viele sehen in der neuen Technologie einen Durchbruch für die Gamesbranche. © A.Härtlein

Dass einfache Computerspiel-Titel sich immer mehr zu Marken und sogenannten Marken-Franchises entwickeln, hob der Brite ebenfalls hervor und zeigt dies am Beispiel der Games-Ikone Lara Croft auf, die heute weit über die Videospiele hinaus vermarktet wird. Auch andere Markenhersteller, wie Lego haben den Marktwert von Charakteren seit Jahren erkannt und nutzen deren emotionales Potenzial im Lizenzgeschäft für die Vermarktung ihrer Spiele – on- und offline. Das Talent und die Leidenschaft der Briten, solche besonderen Charaktere zu entwickeln, lobte Livingstone hoch. Sie zu vermarkten ist die Aufgabe der UKIE, die als Trade Association die Spieleindustrie in vielen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Belangen erfolgreich repräsentiert. Oft hilft der Verband jungen Entwicklerteams, es auf den Markt zu schaffen. Dabei hat man nicht nur heimische Absatzmärkte im Blick, sondern auch globale Märkte.

In dieser Hinsicht kann Deutschland noch viel von seinem kleinen, aber äußerst finanzstarken und vor allem kreativen Nachbarn lernen. Was besonders auffällt, ist die Authentizität der UKIE-Medienvertreter. Denn obwohl man die Games-Industrie als eine umsatzstarke Brache erkennt, scheint doch immer eines im Vordergrund zu stehen: der Spaß an der Sache und die hohe Identifikation mit den außergewöhnlichen Produkten des Heimatmarktes. Spieleentwickler und Gamer sind in UK schon lange keine Nerds mehr – und wenn doch, so stört sich zumindest keiner daran. Sie repräsentieren vielmehr einen Industriezweig der Wachstum generiert und der dabei vor Kreativität nur so sprüht. Dabei darf man eines nicht missverstehen: Auch in UK stehen Fragen wie Monetarisierung und Finanzierung im Vordergrund und es wird sicher an vielen Stellen hart verhandelt. Dennoch spürt man trotz allem das Augenzwinkern und die Freude an der Zugehörigkeit zu dieser lebendigen Szene, die man immer noch am besten erobert, wenn man sich selbst und die andere nicht immer ganz so ernst nimmt. Und das Bemühen der deutschen Branche um Ernsthaftigkeit ist so deutlich spürbar, dass es fast schmerzt. Dass das eigentlich nicht nötig ist, merkt man am ehesten im Angesicht der professionellen britischen Coolness.

Wir lernen von den Briten: Coolness, Spaß und den Sinn fürs Geschäft

gamescom 2015 business area Canada
Auch Kanada ist vertreten © A.Härtlein

Dennoch stehen Zahlen und Fakten für deutschen Unternehmen oft über allem, und werden fast verbissen gepredigt. Die Pressemitteilungen der deutschen Games-Branche sind voll davon. Die Ideen, die kreative Seite und der emotionale Wert vieler Marken, Figuren und Teams werden dabei oft sträflich vernachlässigt, obwohl sich gerade dort so viele Erfolgsgeschichten verbergen. Es ist höchste Zeit, dass auch die deutsche Branche das entdeckt, was sie tatsächlich so attraktiv macht: den Spaß am Spiel und der eigenen Arbeit. Das könnten wir von den Briten lernen – je früher, desto besser.

Veranstaltungen wie die gamescom tragen da maßgeblich zu einer veränderten Wahrnehmung der Branche bei. Auch der im Rahmen der Messe stattfindende gamescom congress erfreut sich einer erhöhten Nachfrage beim Fachpublikum. Hier diskutieren hochkarätige Referenten jedes Jahr über den Einfluss digitaler Spiele auf Wirtschaft, Gesellschaft, Pädagogik und Kultur. Katharina C. Hamma, Geschäftsführerin der Koelnmesse, preist den gamescom congress „als branchenübergreifende Netzwerkplattform, bei der vor allem die Einflüsse der Computer- und Videospielindustrie auf andere Wirtschaftsbranchen und Gesellschaftsmechanismen im Fokus stehen.“ Auch der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e. V., kurz BUI, hat schon viel zur Erneuerung in Deutschland beigetragen. Er vereint derzeit jedoch nur 25 Mitglieder, die, laut Verbandsangaben, aber über 85 Prozent des deutschen Marktes repräsentieren. Ein Anfang, wenngleich man den Verein nicht mit dem „UK-Pendant“ vergleichen kann: UKIE repräsentiert als schlagkräftiger britischer Handlesverband der Spieleindustrie immerhin 250 Unternehmen der Branche. Darunter finden sich Big-Player wie Microsoft, Sony oder Nintendo, einige der größten internationalen Publisher und vielversprechende Start-ups, potenzielle Stars und etablierte Studios, auf deren Konto ein paar der besten Spieletitel der Welt gehen.

Viel Luft nach oben: Deutschland holt auf

Immerhin ist es dem BIU gelungen, eine deutsche Interessengemeinschaft zu schaffen, die seit 2005 mit einer Stimme spricht. So ist der Verein beispielsweise Veranstalter der gamescom und stellt sich als kompetenter Ansprechpartner für Medien und politische und gesellschaftliche Institutionen bereit oder sorgt für den interkulturellen Austausch der Branche mit anderen Unterhaltungssegmenten, wie z.B. der B3 Biennale des bewegten Bildes. Für den Ausbau des wirtschaftlichen Potenzials wird man allerdings auch in Deutschland in naher Zukunft nicht um die Entwicklung einer schlagkräftigen Handelsvereinigung herumkommen, die, wie das britische Vorbild, die wirtschaftlichen Interesse der Branche versteht, vertritt und wahrt. Immerhin entstehen auch hierzulande schon seit mehreren Jahren unzählige neue Studiengänge und Ausbildungsformen, die das Marktpotenzial ausschöpfen und den deutschen Arbeitsmarkt nachhaltig verändern dürften. Man sieht, hier ist noch viel Luft nach oben.

gamescom 2015 business area Spain
Spaniens und Italien in der Business Area der gamescom 2015 © A.Härtlein
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